[Göttingen, 14.04.2023] „Diese Ausarbeitung ist keine wissenschaftliche Studie, sondern ein Bericht aus dem Leben und dem Alltag, der Denkanstöße geben soll. Er ist für alle und jeden gedacht und soll ein Diskussionsbeitrag sein“, ordnet Daniel Piekorz, Autor des Berichts, seine Publikation ein und führt aus: „Sie bezieht sich auf die Situation in Göttingen, die vermutlich exemplarisch für ganz Niedersachsen ist.“ Das Herzstück des Berichts bilden eine Datenabfrage in 57 Einrichtungen zu krankheitsbedingten Personalausfällen und deren Auswirkungen im Zeitraum vom 5. bis 16. Dezember 2022 sowie 25 qualitative Interviews mit pädagogischem Personal, Verwaltungsmitarbeitenden, Lehrkräften, KiTa-Leitungen und Eltern.
Die Grundsituation in den städtischen und freien Kindertagesstätten in Göttingen scheint auf den ersten Blick gar nicht schlecht zu sein: Das grundsätzliche Angebot, die vereinbarten Öffnungszeiten, die zur Verfügung stehenden Betreuungskonzepte werden von den interviewten Personen überwiegend als positiv beurteilt. „Doch sobald es um die tatsächlichen Begebenheiten geht, kippt das Bild leider“, erörtert Piekorz. Sowohl die Umfrage in den Kindertagesstätten als auch die Interviews zeigen eine große Diskrepanz zwischen der Theorie und der Praxis – zwischen den vertraglich vereinbarten Betreuungszeiten und der tatsächlich stattfindenden Betreuung, zwischen pädagogischem Konzept und gelebtem Alltag. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass der im Gesetz verankerte Bildungs- und Erziehungsauftrag der Kindertagesstätten aus Sicht der Betroffenen – also sowohl der Familien als auch der Träger und der Beschäftigten – nicht oder nur in Teilen erfüllt werden kann.
Exemplarisch wurden für den Zeitraum vom 5. bis 16. Dezember 2022 Daten zu krankheitsbedingten Personalausfällen und deren Auswirkungen erfasst. Allein krankheitsbedingt war das Personal in diesem Zeitraum um rund 21% reduziert. Weitere Personalkapazität stand nicht zur Verfügung, weil Angestellte aufgrund von Urlaub, Betreuung kranker Kinder, Pflege von nahen Angehörigen und weiteren Gründen nicht arbeiten konnten. Das bedeutet, dass mindestens 25% der Personalkapazität in dem betrachteten Zeitraum fehlte. Das Resultat: Stadtweit musste das Betreuungsangebot in diesen zwei Wochen für fast 180 Betreuungstage reduziert oder gar gestrichen werden.
Auch die qualitativen Interviews zeigen, dass der Personalmangel als eines der größten Probleme angesehen wird. „Die Umsetzung von Betreuungskonzepten erfordert Freiraum und Fokussierung, was nicht möglich ist, wenn ständig Lücken gestopft werden müssen. Die Beschäftigten können weder ihre Leidenschaft für den Beruf ausleben noch ihre eigenen Ansprüche erfüllen. Das ist wiederum ein Treiber für krankheitsbedingte Ausfälle, der in eine Negativspirale führt – und der Attraktivität des Berufs massiv schadet“, ergänzt Piekorz. Der Autor betont jedoch, dass mehr Personal nicht für jede Einrichtung die passende Lösung ist – zum Beispiel, wenn die Räumlichkeiten bereits beengt oder die akustische Situation in den Gruppenräumen belastend ist.
„Leider habe auch ich kein Patentrezept. Ich empfehle eine schnelle Flexibilisierung der Rahmenbedingungen, gepaart mit der Erhöhung der finanziellen Mittel. Wichtig ist, dass Eltern und Beschäftigte der KiTas die Möglichkeit bekommen, eigenverantwortlich pragmatische Lösungen vor Ort umzusetzen. Und natürlich sollte die Attraktivität des Berufs der Erzieher:in gesteigert werden – durch bessere Rahmenbedingungen, eine duale Berufsausbildung und Auslagerung von nicht pädagogischen Tätigkeiten“, fasst Piekorz seine Empfehlungen an die Stadt Göttingen und das Land zusammen. Ein weiterer Hebel sieht Piekorz bei der Rolle der Kommunen. Sein Denkanstoß: Kommunen sollten hin zu Enablern entwickelt werden, die die freien Träger unterstützen und zentrale Aufgaben übernehmen. So könnten die Verwaltungsaufgaben in den Betreuungsstätten minimiert und der Fokus wieder auf Bildungsauftrag und Betreuung gelegt werden.
„Als in Göttingen verwurzeltes Unternehmen haben wir ein großes Interesse daran, dass die Kinder unserer Beschäftigten zuverlässig und gut betreut werden. Wir haben diesen Bericht kostenfrei erstellt und würden uns sehr freuen, wenn die darin enthaltenen Denkanstöße zur Verbesserung der Betreuungssituation in Göttingen und darüber hinaus beitragen“, ergänzt Dr. Marko Weinrich, Sprecher der Geschäftsführung der Arineo GmbH. Schließlich, so Weinrich, seien die Kinder von heute potenzielle Mitarbeitende von morgen – je besser sie heute betreut würden, desto besser würden sie sich in die Gesellschaft von morgen einbringen können.
Der Bericht wird am 13. April 2023 im Jugendhilfeausschuss der Stadt Göttingen öffentlich vorgestellt.
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